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Die 900 Jahre alten Prophetenfenster im Augsburger Dom

  Die 900 Jahre alten Prophetenfenster im Augsburger Dom
Kostbare Glaskunst im Augsburger Dom. Beitrag im Augsburger Kulturprotal 2018



annett klingner

Der um 995-1005 gebaute Augsburger Dom ist nicht nur Sitz des Bischofs, des Domkapitels und der Dompfarrei, sondern beherbergt einen immensen Reichtum an Meisterwerken verschiedener Epochen. Und obwohl die mittelalterliche Ausstattung während des Bildersturms der Reformationszeit stark dezimiert wurde, wirkt die Kathedrale des Bistums Augsburg auch heute als eindrucksvolles Zeugnis für die Glaubens- und Kulturgeschichte vieler Generationen. Zu den kostbarsten und bedeutendsten Ausstattungsstücken zählen zweifelsohne die fünf überlebensgroßen romanischen Prophetenfenster. Sie stellen das älteste Relikt eines monumentalen Glasmalerei-Zyklus aus dem europäischen Mittelalter dar. Die farbigen Fenster befinden sich im südlichen Obergaden, also der oberen Wandfläche des Mittelschiffs. Von Ost nach West zeigen sie die alttestamentlichen Propheten Jona, Daniel, Hosea, David und Moses als frontale Standfiguren.

Die fünf Verkünder strahlen mit ihrer aufrechten Haltung und den ernsten Gesichtern große Würde aus. Auffallend ist, dass sie nicht in antikisierende Gewänder gehüllt sind, sondern in typische Kleidung von Adligen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts: wadenlange Tuniken und Mäntel, Strümpfe und Stulpenschuhe. An ihren Kopfbedeckungen, jüdischen Filzhüten, sind sie jedoch deutlich als Verkünder des alten Glaubens erkennbar – bis auf König David. Dieser war der erste bedeutendste König über Israel und Judäa sowie Ahnherr von Maria und Jesus Christus. Sein hoher Stand wird durch eine goldene Bügelkrone angezeigt. Diese Kronenform kennzeichnete im Mittelalter christliche Herrscher und wurde auch für die Reichskrone gewählt.
Während vier Propheten an Land stehen, befinden sich Jonas Füße auf dem weit geöffneten Maul eines Wals. Damit wird an die Geschichte des ungehorsamen Propheten erinnert, der sich zunächst dem Willen Gottes widersetzte, zur Strafe ins Meer geworfen und von einem Wal verschluckt wurde. Nachdem er in dessen Bauch drei Tage lang gebetet hatte, spie ihn der große Meeressäuger wieder aus und der geläuterte Jona erfüllte seine Pflicht. Die Spruchbänder der Propheten nehmen Bezug auf die Kirche als „Volk Gottes“ und als „Haus Gottes“: „ […] wann werde ich je wieder deinen heiligen Tempel erblicken?“ (Jona 2,5); „[…] Herr, lass auch um deiner selbst willen dein Angesicht über deinem Heiligtum leuchten, das verwüstet daliegt.“ (Daniel 9,17) - „Ich aber werde euch alle bestrafen.“ (Hosea 5,2) - „Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allezeit loben.“ (David, PS 84) - „… Israel, höre die Gesetze und Rechtsnormen, die ich euch zu halten lehre.“ (Moses, Dtn 4,1).

Die Figuren wirken flächig und schlicht, doch das liegt nicht an mangelnder Meisterschaft der Künstler und Handwerker: Weil die Fenster der romanischen Kirchen sehr klein waren, mussten sie so viel Licht wie möglich ins Innere lassen. Das zwang die Glasmaler zur Verwendung kräftiger, strahlender Farben, zu hellen, durchscheinenden Hintergründen und einer reduzierten Formensprache. Wann genau die ca. 2,20 Meter hohen und 60 Zentimeter breiten Scheiben entstanden, ist umstritten. Manche Kunsthistoriker sehen ihren Ursprung im Zusammenhang mit der Domweihe um 1065. Neuere Forschungen datieren die Buntglasfenster jedoch nach 1132. In jedem Jahr war König Lothar II. von Supplinburg (1075-1137) auf dem Weg zu seiner Kaiserkrönung durch Augsburg gekommen. Als aus ungeklärter Ursache eine Unruhe entstand, vermutete Lothar einen Anschlag und ließ die Stadt weitgehend zerstören. Anschließend mussten auch das Langhaus und die damalige Fensterverglasung ausgebessert werden. Dabei dürften die Prophetenfenster entstanden sein. Der Stil der Bilder, der oft mit der Hirsauer Buchmalerei des frühen 12. Jahrhundert in Verbindung gebracht wird (siehe das Foto vom Abt Wilhelm), wirkte mehrere Jahrzehnte lang: Auf der 1187 gravierten Deckplatte für den Sarg des Heiligen Ulrich sind die Gesichtszüge des Bischofs z.B. denen des Propheten Jona nachempfunden. Ursprünglich umfasste der Zyklus vermutlich weitere Propheten- und auch Apostelbilder. Doch schon 1311, also wenige Jahrzehnte, nachdem sie ihren repräsentativen Platz gefunden hatten, zerstörte ein verheerendes Unwetter mit heftigem Hagelschlag im Jahr 1311 erneut mehrere Scheiben des Augsburger Doms. Heute sind noch vier der fünf Fenster romanisch. Das Glasbild „Moses“ ist einige Jahrhunderte jünger, es ersetzte um 1550 das zerstörte romanische Original. Auch die Scheibe mit der Jonasdarstellung wurde teilweise ergänzt. In allen Epochen seither ist der Prophetenzyklus als etwas ganz Besonderes gewürdigt, geschützt, ausgebessert und neu in Szene gesetzt worden.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs baute man die historischen Glasfenster aus, lagerte sie sicher und brachte sie 1946 wieder an ihren angestammten Platz zurück. Um die kostbaren Scheiben für die Zukunft zu bewahren und optimal zu schützen, wurden sie Anfang der 1970er Jahre abgenommen, gereinigt, restauriert und zwischen bruchsicheren Klarglasscheiben platziert. Wie klug diese Maßnahme war, zeigte sich im Jahr 2013, als ein psychisch verwirrter Mann zwei spätgotische Fenster des Doms einwarf und einen Altar beschädigte. Die Prophetenfenster überstanden diesen vandalistischen Akt unversehrt.

Literatur: Diana Kah: Die Prophetenfenster, in: Diözese Augsburgt (Hrsg.): Der Augsburger Dom. Sakrale Kunst von den Ottonen bis zur Gegenwart, München 2014, S. 49-54 Louis Grodecki: Romanische Glasmalerei, Stuttgart 1977

Fotos: Der Augsburger Dom 2014, S. 48, 50f.; Codex traditionum monasterii Reichenbaciensis, Cod.hist.qt 147, fol. 4 (©Württembergische Landesbibliothek Stuttgart)

Illustrationen: Alexander Kohler (mehrbunt.de)
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